Yogische Ernährung

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Wer Yoga in seinen Alltag integrieren will, stößt früher oder später auch auf Ernährungsfragen. Die alten Yoginis und Yogis hatten sehr genaue Vorstellungen davon, welche Nahrungsmittel und welche Art und Weise des Umgangs mit ihnen den Einklang von Körper, Geist und Seele fördern.

Die mehrere Jahrtausende alten Wissenschaften von Yoga und Ayurveda basieren auf der praktischen Erfahrung von über hunderten von Generationen weitergegebener praktischer Spiritualität.

Die Parallelen zu modernen Erkenntnissen sind meist ebenso verblüffend wie die Tiefe des angesammelten Wissens über die Wirkungsweise verschiedener Lebensmittel etwa auf Körpertemperatur, Organe oder geistige und seelische Verfassung.

Es gibt unzählige Verweise auf yogische Ernährung, von denen nur einige hier genannt werden sollen.

In der Hatha-Yoga Pradipika („Licht auf Hatha-Yoga“) beispielsweise, werden im ersten Kapitel neben einzelnen Asanas auch sehr konkrete Ernährungsregeln beschrieben:

Jemand der im Bewusstsein des Absoluten wandelt (Brahma-Chari), sich nach dem rechten Maß ernährt (Mitahari), zurückgezogen lebt (Tyagi) und sich dem Yoga ganz hingegeben hat, der wird nach einem Jahr ein erleuchtetes Wesen (Siddhi). [Darüber gibt es] keinen Grund für Zweifel. ||59||

Bekömmliche, süße Nahrung, [bei der] ein viertel [des Magens] leer [bleibt], [und die] achtsam verzehrt wird, das wird moderate Ernährung (Mitahara) genannt. ||60||

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Bitteres, Saures, Beißendes, Salziges, Scharfes, grünes Gemüse, saurer Haferschleim, Sesam Öl, Sesam, Senf, Alkohol, Fisch, Ziege, anderes Fleisch, saure oder mit Wasser vermischte Milch, Pferdebohne, Jujube-Frucht, Ölkuchen, Teufeldreck, Knoblauch und Weiteres ist ungeeignete [Nahrung für einen Yogi], so sagt man. ||61||

[EinYogi] sollte danach trachten, unvorteilhafte Nahrung zu vermeiden. [Dazu gehört auch:] Aufgewärmtes, Fett reduzierte Produkte, sehr Salziges, sehr Saures, Abgestandenes und auch zu viele Gemüse. ||62||

Weizen, Reis, Gerste und alles was innerhalb von 60 Tagen reift, [ist] gute Nahrung. Milch, Ghee, kristalliner Zucker, Butter, harter Zucker, Honig, getrockneter Ingwer, die Gurkenfrucht, [sowie] weitere fünf Gemüse, Mung-Bohnen, [sowie] weitere Hülsenfrüchte und Regenwasser, [diese ist Nahrung, die] für die Besten der Yogis angemessen [ist]. ||65||

Nahrhafte, süße und milde Milchprodukte nähren den Körper und sind angenehm für den Geist. Das ist geeignete Nahrung, die der Yogi nutzen sollte. ||66||

Auch andere Bezugspunkte sprechen von der Ernährung. Immer wieder findet sich die Idee der drei Gunas (Eigenschaften, Qualitäten) in der indischen Philosophie und Literatur. Die Gunas dienen als Erklärungsmodell für viele verschiedene Konzepte. Die Bhagavad Gita gibt z.B. die Gunas als Richtschnur der persönlichen Entwicklung vor. Neben anderen Schriften beschreibt insbesondere die Bhagavad Gita die Bedeutung der Gunas für das Denken, Fühlen und Handeln des Menschen. Hierbei sind immer alle drei Elemente im Menschen vorhanden, auch wenn eines temporär überwiegen mag. Ziel des/der Yoga-Praktizierenden ist es, sattva zu stärken:

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„Das Lebensziel besteht darin, dass man im Streben nach einem höheren Ideal den eigenen Charakter zu einem Höheren hin umgestaltet - und dabei von Trägheit und innerer Unbeweglichkeit (tamas) zu leidenschaftlicher Bemühung (ragas) übergeht und diese dann in Ruhe und Ausgeglichenheit (sattva) hinein lenkt.“ (14.5)

Zur Förderung von sattva, gehören beispielsweise eine sattvische Ernährung mit rohen oder frisch gekochten vegetarischen Nahrungsmitteln, reine Luft und sauberes Wasser. Die Bhagavad Gita (17.1-6) empfiehlt milde Speisen, voll Saft und Geschmack, beruhigend, bekömmlich und frisch. 

Die Gherandasamhita empfiehlt der/dem Yogapraktizierenden:

„gekochten Reis oder Gerstenklöße, ebenso Weizenklöße; Mungbohnen, Masabohnen und Kichererbsen usw. aber rein, ohne die Hülsen, Patola, Brotfrucht, Mana, Kakkaola und Sukasaka; Dradihika, Karkati, Bananen, Feigen und Kaktusfeigen, rohe Bananen, junge Bananen, Bananenstengel und -wurzeln; Auberginen, Rettich, Rddhi verwendet der Yogin als Speise. Man empfiehlt fünf Gemüse: Balakraut (Haarkraut), Kalasaka (Schwarzkraut) und Patolablätter, Vastuka und Hilamocika.

Reines, sehr Süßes und Mildes, das die Hälfte des Bauches freilässt, genießt man Wohlschmeckendes, mit Freude. Das nennt man das richtige Essen. (…) Frische und zerlassene Butter, Milch, Rohrzucker als Sandzucker usw. und Melasse; reife Bananen, Kokosnüsse und Granatäpfel, deren Destinationen jedoch unheilvoll sind; Trauben und selbst die Laval, sofern sie einen Saft enthält, der nicht sauer ist; Kardamom, Muskat und Gewürznelken und die Früchte des kultivierten Rosenapfelbaums; Haritaki und Datteln, verwendet der Yogin als Speise.“

Diese Speisen sollen beleben, Energie, Stärke und Gesundheit spenden und Freude bringen, sowohl körperlich als auch geistig.

„Leicht Verdauliches, Gutes und Mildes, das die Dhatu unterhält (= gesund ist); Geeignetes, wonach das Herz begehrt, verwendet der Yogin als Speise.“

Essen, das ragas fördert, verursacht Verstimmung des Körpers und des Geistes und schlechte Gesundheit oder Krankheit. Dies betrifft z.B. Kaffe, schwarzen Tee, alles Saure oder Bittere, Industriezucker oder scharfe Gewürze wie Chili. Diese Nahrung macht den Menschen unruhig. Diese Lebensmittel sollten von Yoginis und Yogis weitestgehend vermieden werden, da sie die Leidenschaften anregen und den Geist unruhig und schwer kontrollierbar machen.

„Scharfes, Saures, Salziges, Bitteres und Geröstetes, sauere Milch, Buttermilch; rasendes Kraut oder Berauschendes: Palmwein und Brodfrucht; Kulattha, Linsen, weiße Kürbisgurken,Krautstengel, Tumbi, Brustbeeren, Holzäpfel, die Früchte des dornigen Bilva, die Rinde vom Palasa; Kadamba, Zitronen, Bimbi- und Lakucafrüchte sowie Knoblauch, ein Gift! Karambolen und Piyalafrüchte, Hingu, Wollbaumblüten und Kemuka meidet der Yogin.“

Ragasig ist auch, zu hastig zu essen und ungenügend zu kauen. 

Tamasiges Essen ist das, was ungesund für Dich oder auch für Andere ist, Deine Energien lahmlegt und den Verstand träge macht. Sicher kennst Du das Gefühl, wenn Du Dich nach dem Essen solcher Nahrung erschöpft und müde fühlst. Das sogenannte "Futterkoma" stellt sich nämlich nicht nach dem Essen jeder Nahrung ein, sondern nur nach dem essen tamasiger Nahrung. Fisch und Fleisch gelten als tamasig, weil hierfür Tiere getötet werden müssen. Auch Alkohol gilt als tamasig.

Speise, die schal und geschmacklos, verdorben und unrein ist, wird von Menschen mit einer Disposition zu tamas geschätzt (Bhagavad Gita 17. 7-11).

„Grausames, Sündhaftes, Faules, Scharfes und Abgestandenes sowie sehr Kaltes und Heißes vermeidet der Yogin.“

Die Lehre des Ayurveda schreibt eigene allgemeine Ernährungsregeln vor, allerdings mit etwas anderem, breiterem Ansatz.

„Nur gesunde, vollwertige Nahrung fördert (geistiges und körperliches Wachstum) einer Person, ungesundes Essen dagegen ist die Ursache von Krankheiten. Vollwertig und gesund ist Nahrung dann, wenn sie das Gleichgewicht der Körpergewebe aufrechterhält oder wiederherstellt.“ (Charaka Samhita, Sutrasthana XXV, 31, 33)

Diese Betrachtung ist allgemeiner und lässt mehr Raum für individuelle Konstitutionen und Bedürfnisse - schließlich hat nicht jede/r Erleuchtung im Sinn. Trotzdem gibt es grundlegende Empfehlungen, die allen Konstitutionstypen gut tun. Hierzu zählen

  • in Ruhe im Sitzen zu Essen, die Speisen zu genießen und beim Essen nicht zu lesen oder zu arbeiten.
  • die Hauptmahlzeit mittags, nicht abends einzunehmen.
  • Abends tierisches Eiweiß zu vermeiden.
  • Honig nicht über 40 Grad zu erhitzten und nicht zum Kochen zu verwenden.
  • kalte Nahrung und Getränke zu vermeiden.
  • Nahrung frisch zuzubereiten.
  • Jedes Essen sollte alle sechs Geschmacksrichtungen enthalten (süß, sauer, salzig, scharf, bitter und herb).

Im Yogasutra (2.30) gibt es die fünf Yamas als Richtlinien des ethisches Verhaltens, die auf allen Ebenen (mental, emotional, verbal und physisch) praktiziert werden können. Zusammengenommen bilden sie das große Gelübde (maha vrata). Meisterschaft entstehe, wenn die fünf Yamas unbeeinflusst von Herkunft, Ort, Zeit oder Situation auf allen Ebenen angewendet werden (2.31). Das bekannteste Yama ist ahimsa. Ahimsa bedeutet „nicht verletzen“ - oft übersetzt mit „Gewaltlosigkeit“, was jedoch bei genauerer Betrachtung zu kurz greift.

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Denn „nicht verletzen“ geht weiter als Gewaltlosigkeit und beinhaltet zum Beispiel Respekt und Mitgefühl. Desikachar ist der Auffassung ahimsa bedeute nicht nur Gewaltlosigkeit im wörtlichen Sinne von „nicht verletzen“, sondern umfasse als dessen Gegenteil - angedeutet durch die Vorsilbe „a“ - Freundlichkeit, Zugewandtheit und Rücksicht, also jede wohl überlegte Rücksichtnahme gegenüber anderen Wesen, da auch Ungerechtigkeit und Grausamkeit Verletzungshandlungen seien.

Manche Yogis vertreten die Auffassung, dass sich aus ahimsa Veganismus, mindestens aber Vegetarismus ableite.

Es mag eine Frage der Überzeugung sein, ob man wegen ahimsa im Notfall als Vegetarier sogar Hungers sterben müsste, die heutige Massentierhaltung mit all ihren Konsequenzen dürfte jedoch kaum mit ahimsa vereinbar sein.

Der Wunsch, anderen Wesen kein Leid zuzufügen, entspringt aus der oder kultiviert zumindest die Einsicht, dass Alles verbunden bzw. Eins ist, eine Einstellung, die von vielen Yoginis und Yogis geteilt wird.

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